Ist für den Fall einer Räumungspflicht des Mieters eine Selbstmordgefahr positiv festgestellt
worden, ist eine Kündigung wegen Eigenbedarfs ausgeschlossen.

Diese für den Mieter günstige Entscheidung traf das Amtsgericht München im Fall eines älteren
Mannes, der seit 1975 eine Drei-Zimmer-Wohnung in München bewohnte. Die Vermieterin kündigte
wegen Eigenbedarfs. Der Mieter legte hiergegen Widerspruch ein und begründete das mit
Hüft- und Kniegelenkserkrankungen sowie seiner langjährigen Verwurzelung im Wohnumfeld.
Er habe seit der Kündigung fünf Kilo abgenommen und auf 26 Bewerbungen nur Absagen erhalten.
Die Vermieterin behauptet, dass der Mieter in der näheren Umgebung eine Ersatzwohnung
finden könne, wenn er sich nur ausreichend darum bemühe. Die Wohnung sei nur über mehrere
Treppenstufen erreichbar, also nicht altersgerecht. Man würde den Mieter tatkräftig bei
seinem Umzug unterstützen, der überdies ja noch zweimal die Woche nach Riem fahren könne,
um dort im Tierheim zu helfen.
Die zuständige Richterin gab dem Mieter recht. Zwar bestehe nach Überzeugung des Gerichts
der behauptete Eigenbedarf tatsächlich. Der Mieter könne allerdings einer an sich gerechtfertigten
ordentlichen Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung
des Mietverhältnisses verlangen. Voraussetzung dafür sei, dass die Beendigung des Mietverhältnisses
für ihn eine Härte bedeuten würde, die auch unter der Würdigung der berechtigten
Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen sei.
Das sei vorliegend der Fall. Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass der Mieter entsprechend
seiner langen Wohndauer in dem Viertel stark verwurzelt sei. Letztlich war in der Abwägung
ausschlaggebend das Ergebnis des schriftlichen Gutachtens des vom Gericht bestellten Sachverständigen.
Danach wurde der psychische Gesundheitszustand des Mieters schon als Folge
der Kündigung bereits erheblich beeinträchtigt. Hierdurch hat sich eine mittelschwere depressive
Episode ausgebildet. Durch einen Umzug würde sich sein psychisches Befinden aller Wahrscheinlichkeit
nach noch weiter verschlechtern, bis hin zu einer schweren depressiven Episode,
bei der auch ein Suizid nicht ausgeschlossen werden kann.
Zu keinem Zeitpunkt der Untersuchung bestand ein Anhaltspunkt, dass der Mieter seine
Beschwerden stärker beschreiben würde als sie vorliegen oder gar simulieren würde. Für den
Fall, dass er aus seiner Wohnung ausziehen müsste, wird konkret der Suizid erwogen. Es
handelt sich bei ihm um einen alten, alleinstehenden Mann mit einer depressiven Episode und
einem ungelösten Problem, nämlich dem Verlust seiner Wohnung und seines Lebensmittelpunktes.
Er ist daher als erheblich gefährdet anzusehen. Unter Berücksichtigung dieser
Gefährdung ist eine Räumung der Wohnung für den Mieter nicht zumutbar. Nachdem auch nicht
absehbar ist, ob und wann die festgestellte Gefährdung nicht mehr besteht, war das Mietverhältnis
auf unbestimmte Zeit fortzusetzen.

QUE LLE: Amtsgericht München, Urteil vom 22.11.2019, 411 C 19436/18, Abruf-Nr. 213519 unter www.iww.de.

Kategorie(n)

Miet- und Wohnungseigentumsrecht

 

Schlagwörter

Keine Eigenbedarfskündigung Selbstmordgefahr des Mieters