Eine Radfahrerin, die beim Befahren eines Radwegs entgegen der Fahrtrichtung mit einem
wartepflichtigen Pkw kollidiert, kann 1/3 ihres Schadens selbst zu tragen haben. Dass sie
keinen Schutzhelm getragen hat, erhöht – bei dem Unfallereignis aus dem Jahre 2013 – ihren
Eigenhaftungsanteil nicht.

Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Hamm im Falle einer Radfahrerin entschieden. Diese
befuhr mit ihrem Fahrrad einen Geh- und Radweg entgegen der Fahrtrichtung. Sie wollte die
Einmündung einer untergeordneten Straße queren, um dann nach links in diese Straße einzubiegen.
Der Beklage kam mit seinem Pkw aus dieser Straße und wollte rechts abbiegen. Dabei
kollidierte sein Fahrzeug mit dem Fahrrad der Klägerin. Die Radfahrerin stürzte auf die Motorhaube,
rutschte mit ihrem Rad über die Straße und schlug mit dem unbehelmten Kopf auf
der Fahrbahn auf. Mit einem Schädel-Hirn-Trauma, einem Schädel-Basis-Bruch und einer
Kniefraktur erlitt sie schwerste Verletzungen. Sie verlangt nun von dem Beklagten und seinem
Haftpflichtversicherer Schadenersatz und Schmerzensgeld.
Das Landgericht hat der Radfahrerin ein Mitverschulden von 20 Prozent angerechnet. In der
Berufungsinstanz hat das OLG dieses Mitverschulden stärker berücksichtigt und mit 1/3 bewertet.
Der Beklagte habe, so die Richter, den Unfall in erheblichem Umfang verschuldet, auch
wenn er zunächst im Einmündungsbereich angehalten habe und dann langsam abgebogen sei.
Gegenüber der Klägerin sei er wartepflichtig gewesen. Die Klägerin habe ihr Vorfahrtsrecht
nicht dadurch verloren, dass sie den kombinierten Geh- und Radweg entgegen der Fahrtrichtung
befahren habe, obwohl dieser für eine Nutzung in ihrer Fahrtrichtung nicht mehr freigegeben
gewesen sei. Ein Radfahrer behalte sein Vorrecht gegenüber kreuzenden und einbiegenden
Fahrzeugen auch, wenn er verbotswidrig den linken von zwei vorhandenen Radwegen nutze.
Die Klägerin ihrerseits habe den Unfall mitverschuldet, weil sie mit ihrem Fahrrad den an
der Unfallstelle vorhandenen Geh- und Radweg entgegen der freigegebenen Fahrtrichtung
befahren habe. Dass die Klägerin auf dem für ihre Fahrtrichtung nicht freigegebenen Weg erst
wenige Meter zurückgelegt habe, entlaste sie nicht. Sie habe sich verbotswidrig auf dem Radweg
befunden, den sie richtigerweise nur noch – ihr Fahrrad schiebend – als Fußgängerin hätte
benutzen dürfen.
Unerheblich sei, dass sie keinen Schutzhelm getragen habe. Deshalb könne ihr Anspruch nicht
gekürzt werden. Zur Unfallzeit im Jahre 2013 habe keine gesetzliche Helmpflicht für Radfahrer
bestanden. Das Tragen von Fahrradhelmen habe zudem nicht dem allgemeinen Verkehrsbewusstsein
entsprochen. Das hat der Bundesgerichtshof noch im Jahre 2014 festgestellt,
bezogen auf einen Unfall aus dem Jahre 2011. Anhaltspunkte dafür, dass sich das Verkehrsbewusstsein
insoweit in den Jahren danach verändert habe, habe der Senat nicht.
Der Mitverschuldensanteil der Klägerin sei mit 1/3 zu bewerten. Dabei sei zu berücksichtigen,
dass das der Klägerin nach wie vor zustehende Vorfahrtsrecht kein Vertrauen ihrerseits in ein
verkehrsgerechtes Verhalten des Beklagten habe begründen können. Auch wenn der Beklagte
mit seinem Fahrzeug zunächst vor dem querenden Geh- und Radweg angehalten habe, habe die
verkehrswidrig fahrende Klägerin ohne weitere Anhaltspunkte nicht davon ausgehen dürfen,
dass der Beklagte sie wahrgenommen habe und ihr den Vorgang einräumen würde.
QUELLE: OLG Hamm, Urteil vom 4.8.2017, 9 U 173/16, Abruf-Nr. 196307 unter www.iww.de.

Kategorie(n)

Allgemein, Verkehrsrecht

 

Schlagwörter

Haftungsrecht Mitverschulden Radweg