Autofahrer müssen bei Dunkelheit und erkennbarem Gegenverkehr auf schmalen Straßen
auf halbe Sicht fahren.Diese Klarstellung traf das OLG Celle in einer Verkehrsunfallsache. Bei Dunkelheit waren auf
einer 4,95 m breiten Gemeindestraße ohne Fahrbahnmarkierungen ein Pkw und ein ordnungsgemäß
beleuchtetes, überbreites landwirtschaftliches Gespann (Schlepper und Anhänger) mit
einer Breite von 2,95 m zusammengestoßen. Bei erlaubten 80 km/h war der Pkw mit ca. 75 bis
85 km/h unterwegs, der Traktor fuhr ca. 25 bis 35 km/h. Es entstand erheblicher Sach- und
Personenschaden.
Der Eigentümer des landwirtschaftlichen Gespanns und der Haftpflichtversicherer des Pkw
stritten darüber, in welchem Verhältnis die jeweiligen Unfallschäden zu ersetzen seien. Der
Haftpflichtversicherer meinte, dass der Fahrer des landwirtschaftlichen Gespanns den Schaden
zu 50 % verursacht habe, und zahlte deshalb nur die Hälfte des an dem Schlepper und dem
Anhänger entstandenen Schadens. Demgegenüber meinte der Eigentümer des landwirtschaftlichen
Gespanns, dass die Fahrerin des Pkw den Unfall alleine verursacht habe. Er verlangte
deshalb Ersatz des gesamten Schadens. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es meinte,
der Unfall sei überwiegend (65 %) von dem Fahrer des landwirtschaftlichen Gespanns verursacht
worden.
Auf die Berufung des Klägers hat das OLG das Urteil teilweise geändert und dem Eigentümer
des landwirtschaftlichen Gespanns weiteren Schadenersatz zugesprochen. Die Fahrerin des
Pkw habe den Unfall verursacht. Zwar habe sie die erlaubte Geschwindigkeit allenfalls geringfügig
überschritten. Allerdings habe sie ihre Geschwindigkeit nicht den Straßen-, Verkehrs- und
Sichtverhältnissen angepasst. Bei Dunkelheit auf einer nur 4,95 m breiten Straße ohne Fahrbahnmarkierungen
und nicht befestigtem Seitenstreifen sowie erkennbarem Gegenverkehr
(Fahrzeugbeleuchtung) in einer leichten Rechtskurve seien selbst 75 km/h zu schnell. Die
Fahrerin habe vielmehr einkalkulieren müssen, dass das für sie im Gegenverkehr erkennbare
Gespann überbreit war. Es habe ihr erkennbar weniger Platz zur Verfügung gestanden als bei
einem entgegenkommenden Pkw. Sie habe deshalb so langsam fahren müssen, dass sie ihr
Fahrzeug mindestens innerhalb der Hälfte der übersehbaren Strecke hätte anhalten können.
Darüber hinaus sei die Fahrerin nicht weit genug rechts gefahren. Der von ihr gelenkte Pkw
war lediglich ca. 1,70 m breit. Daher habe auch angesichts des ihr entgegenkommenden 2,95 m
breiten Gespanns ausreichend Platz zur Verfügung gestanden, um aneinander vorbeizufahren.
Trotz dieser Verkehrsverstöße aufseiten der Unfallgegnerin hat der Eigentümer des landwirtschaftlichen
Gespanns nach der Entscheidung aber keinen Anspruch auf vollständigen Ersatz
seiner Schäden. Er müsse sich die – bei einem überbreiten landwirtschaftlichen Gespann mit
einem Gewicht von 18 t erhöhte – Betriebsgefahr anrechnen lassen. Daher könne er nur 70 %
seiner Schäden ersetzt verlangen.
Die sogenannte Betriebsgefahr ist in § 7 StVG normiert. Sie begründet eine verschuldensunabhängige
Haftung des Fahrzeughalters. Daraus folgt, dass ein Fahrzeughalter sich bei einem
Unfall unter bestimmten Umständen auch dann eine Mithaftung anrechnen lassen muss, wenn
sich der Fahrer seines Fahrzeugs nicht verkehrswidrig verhalten hat.

QUELLE: OLG Celle, Urteil vom 4.3.2020, 14 U 182/19, Abruf-Nr. 215146 unter www.iww.de.

Kategorie(n)

Verkehrsrecht

 

Schlagwörter

Haftungsrecht; Geschwindigkeit; Dunkelheut