Das menschliche Leben ist ein höchstrangiges Rechtsgut und absolut erhaltungswürdig.
Deshalb hat ein Erbe keinen Schadenersatzanspruch, wenn ein bewegungs- und kommunikationsunfähiger
Patient über Jahre künstlich ernährt wird. Das gilt zumindest für den Fall,
dass keine Patientenverfügung besteht.

Diese Klarstellung traf der Bundesgerichtshof (BGH) im Fall eines dementen Patienten. Dieser
war bewegungs- und kommunikationsunfähig. In den letzten beiden Jahren seines Lebens
kamen Lungenentzündungen und eine Gallenblasenentzündung hinzu. Bis zu seinem Tod
wurde er über mehrere Jahre mittels einer PEG-Magensonde künstlich ernährt. Der Mann hatte
keine Patientenverfügung errichtet. Sein Wille hinsichtlich des Einsatzes lebenserhaltender
Maßnahmen ließ sich auch nicht anderweitig feststellen. Es war damit nicht über die Fallgestaltung
zu entscheiden, dass die künstliche Ernährung gegen den Willen des Betroffenen erfolgte.
Sein Sohn hat nun den behandelnden Arzt verklagt. Er macht geltend, die künstliche Ernährung
habe nur noch zu einer sinnlosen Verlängerung des krankheitsbedingten Leidens seines Vaters
geführt. Der Arzt hätte daher das Therapieziel dahingehend ändern müssen, dass das Sterben
des Patienten durch Beendigung der lebenserhaltenden Maßnahmen zugelassen werde. Der
Sohn verlangt aus ererbtem Recht seines Vaters Schmerzensgeld sowie Ersatz für Behandlungs-
und Pflegeaufwendungen.
Der BGH wies die Klage ab. Der Sohn habe keinen Anspruch auf ein Schmerzensgeld. Es könne
dahinstehen, ob der Arzt Pflichten verletzt habe. Denn jedenfalls fehlt es an einem immateriellen
Schaden. Hier steht der durch die künstliche Ernährung ermöglichte Zustand des Weiterlebens
mit krankheitsbedingten Leiden dem Zustand gegenüber, wie er bei Abbruch der künstlichen
Ernährung eingetreten wäre, also dem Tod. Das menschliche Leben ist ein höchstrangiges
Rechtsgut und absolut erhaltungswürdig. Das Urteil über seinen Wert steht keinem Dritten
zu. Deshalb verbietet es sich, das Leben – auch ein leidensbehaftetes Weiterleben – als Schaden
anzusehen (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Auch wenn ein Patient selbst sein Leben als
lebensunwert erachten mag mit der Folge, dass eine lebenserhaltende Maßnahme gegen
seinen Willen zu unterbleiben hat, verbietet die Verfassungsordnung aller staatlichen Gewalt
einschließlich der Rechtsprechung ein solches Urteil über das Leben des betroffenen Patienten
mit der Schlussfolgerung, dieses Leben sei ein Schaden.
Dem Sohn steht auch kein Anspruch auf Ersatz der durch das Weiterleben des Patienten
bedingten Behandlungs- und Pflegeaufwendungen zu. Schutzzweck etwaiger Aufklärungs- und
Behandlungspflichten im Zusammenhang mit lebenserhaltenden Maßnahmen ist es nicht,
wirtschaftliche Belastungen, die mit dem Weiterleben und den dem Leben anhaftenden krankheitsbedingten
Leiden verbunden sind, zu verhindern. Insbesondere dienen diese Pflichten
nicht dazu, den Erben das Vermögen des Patienten möglichst ungeschmälert zu erhalten.
QUELLE: BGH, Urteil vom 2.4.2019, VI ZR 13/18, Abruf-Nr. 208523 unter www.iww.de.

 

Kategorie(n)

Erbrecht, Familienrecht

 

Schlagwörter

Ernährung Künstliche