Das Bremsen für eine Taube unmittelbar nach dem Anfahren an einer Ampel erfolgt nicht
ohne zwingenden Grund und stellt keinen Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung dar.
So entschied es das Amtsgericht Dortmund in einer Unfallsache. Zwei Fahrzeuge hatten vor
einer Ampel gewartet. Als diese auf grün umschlug, fuhr der erste Wagen los. Nach wenigen
Metern bremste der Fahrer jedoch wieder ab, weil eine Taube auf der Fahrbahn saß. Der nachfolgende
Wagen fuhr auf. Der Auffahrende verlangte von dem anderen Fahrer seinen Schaden
ersetzt.
Mit dieser Forderung hatte er vor dem Amtsgericht keinen Erfolg. Das Gericht verwies auf den
Beweis des ersten Anscheins, nach dem der Auffahrende den Unfall schuldhaft verursacht
habe. So spricht die Lebenserfahrung dafür, dass der Kraftfahrer der auf ein vor ihm fahrendes
oder stehendes Fahrzeug auffährt, entweder zu schnell, mit unzureichendem Sicherheitsabstand
oder unaufmerksam gefahren ist. Es müsse ein solcher Abstand eingehalten werden,
dass angehalten werden kann, wenn der Vordermann plötzlich bremst.
Dieser Beweis des ersten Anscheins kann jedoch erschüttert bzw. ausgeräumt werden, wenn
der Auffahrende einen anderen ernsthaften, typischen Geschehnisablauf darlegt und beweist.
Das konnte der Auffahrende hier aber nicht. Der Anscheinsbeweis ist nicht dadurch erschüttert,
dass der andere Fahrer für eine Taube stark gebremst hat. Das Bremsen für eine Taube war
nicht ohne zwingenden Grund. Es war in dieser konkreten Situation kein Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung.
Eine Abwägung der gefährdeten Rechtsgüter ergibt, dass hier gebremst
werden durfte. Die damit einhergehende Gefahr von Sachschäden an dem eigenen wie an dem
fremden Kraftfahrzeug hat keinen Vorrang vor dem Tierwohl. Vielmehr ist hier zu beachten,
dass der Unfall bei sehr geringer Geschwindigkeiten im Anfahrvorgang geschah. Aufgrund der
geringen Geschwindigkeit waren auch keine Personenschäden zu erwarten. Allein weil es sich
bei einer Taube um ein Kleintier handelt, kann nicht verlangt werden, dass das Tier hätte überfahren
werden müssen. Das Töten eines Wirbeltiers ist nach dem Tierschutzgesetz grundsätzlich
eine Ordnungswidrigkeit. Das war dem Autofahrer nicht zuzumuten. Diese Vorschrift ist
auch Folge des im Jahr 2002 in Art. 20a GG aufgenommen Tierschutzes als Staatszielbestimmung
der Bundesrepublik Deutschland.
QUELLE: Amtsgericht Dortmund, Urteil vom 10.7.2018, 425 C 2383/18, Abruf-Nr. 205422 unter www.iww.de.
Kategorie(n)
Verkehrsrecht